Wesen, Kultur und Traditionen des FC Ente Bagdad

Anlässlich des 40. Entengeburtstages im Jahr 2013 wurde eine psychologisch-wissenschaftliche Analyse des Phänomens FC Ente Bagdad durchgeführt. Die Hamburger Literaturwissenschaftlerin Dr. F. Beyer legt in ihrer kritischen Auseinandersetzung dar, wie sich der Club für Außenstehende und Fußballskeptiker darstellt, beschreibt dabei eingehend die Wurzeln sowie Auswirkungen des „Ente“-Seins und gibt hilfreiche Ratschläge für die Spielerfrau.

Hinweise für Spielerfrauen des FC Ente Bagdad

Auszüge aus einem bisher unveröffentlichten Handbuch für Fußballlaien und Entenpartnerinnen

Über das Wesen des Fußballs

Der Zusatz FC zum Vereinsnamen könnte von der Fußballskeptikerin als Fachsimpelclub o.Ä. verstanden werden; gleichwohl soll hier wohlwollend unterstellt werden, dass es vorrangig um Fußball geht.

Der Laie tut freilich gut daran, sich dem Begriff Fußball vorsichtig zu nähern, ohne die erstaunliche Vielzahl an Veröffentlichungen zu diesem Thema alle zu berücksichtigen. Denn Titel wie Fußball – Wissenschaft mit Kick: Von der Physik fliegender Bälle und der Statisitik des Spielausgangs von John Wesson (für 17,99 im Spektrum Akademischer Verlag zu haben) oder Aggression im Fußball (Bd. 2): Testmethodische Entwicklung eines Fragebogens zur sportartspezifischen Begriffsbestimmung „aggressiver Spielhandlung“ und zur Erfassung von Einstellungen zu Regeln und Normen im Wettkampf von Gunnar Gerisch (für 22,50 bei Feldhaus erhältlich) oder gar die beeindruckende dreibändige, mehr als 2500 Seiten umfassende kommentierte Bibliographie zum Thema Fußball als Kulturgut (Sportverlag Strauß) könnten einer zunächst aufgeschlossenen Einstellung zum Fußball abträglich sein und die Skepsis fördern.

Da der Laie dennoch das berechtigte Bedürfnis empfinden mag, Fußball zu verstehen, seien einige allgemeine Bemerkungen erlaubt. Vordergründig scheint es nach wie vor, als liefen 22 Menschen einem Ball hinterher, was zunächst einer völlig absurden Spielidee gleichkommt. Selbstverständlich macht das konkurrierende Bemühen zweier Mannschaften, der jeweils anderen Mannschaft den Ball in einen eigens dafür bereit gestellten Kasten zu befördern, ohne dabei die Hände zu benutzen, die Sache dann zu einer interessanten Angelegenheit. Richtig interessant ist allerdings, dass das Spiel damit nicht beendet ist: Statt sich darüber zu freuen, dass die jeweils andere Mannschaft ihr netterweise den Ball in den Kasten legt, versuchen beide Mannschaften im Gegenteil das mit Händen (auch wenn deren Einsatz nicht erlaubt ist) und Füßen zu verhindern. Das wiederum führt zu dem verwirrenden Prinzip, dass auf dem Spielfeld jeder den Ball haben will, aber keiner will ihn in seinem Kasten. Hmm.

Sporthistorische und -psychologische Überlegungen mögen da weiterhelfen: Der Sport und das Sportspiel kamen erst dann auf den Plan, als gewisse Menschen mit ihrer Selbstversorgung und der Verteidigung ihres Lebensraumes nicht mehr ausgelastet waren; der Sport und der sportliche Wettkampf ersetzten die physische Aktivität während kriegerischer Auseinandersetzungen und die damit einhergehende psychische Befriedigung im Falle erfolgreicher Selbstbehauptung.

Da letzteres naturgemäß meist nur einem Gegner gegönnt ist, hat der Sport leider auch den bekannten Reiz-Reaktion-Mechanismus Frustration schafft Aggression geerbt.

Vereinfacht gesagt: Fußball hat ursprünglich etwas mit Krieg zu tun, und da Krieg absurd ist, darf Fußball es auch sein.

Das Wesen des FC Ente Bagdad

Dem FC Ente Bagdad liegen kriegerische Grundgedanken sympathischerweise prinzipiell fern. In der Tradition seiner konstituierenden Sitzung, auf der in friedvoll verträumter Stimmung des Jahres 1973 märchenhafte Ziele formuliert und mit einem märchenhaften Namen beglaubigt wurden, pflegt der Verein heute noch das freundlich-herzliche Miteinander.

Im Spiel natürlich kann es auch einmal ruppig zugehen, verbal wie nonverbal: Beim allsamstäglichen Treffen, in bescheidenem Understatement „Entenkick” genannt, wird sich dann schon mal angebrüllt, denn auch Enten sind von dem o.g. Mechanismus nicht ausgenommen. Der Ehrgeiz des Siegeswillens kann denn ebenso zu verschärftem Körpereinsatz und damit einhergehenden Verletzungen vor allem derjenigen Mitglieder führen, für die das raue Spiel eigentlich keine altersgemäße Bewegung mehr darstellt.

Ein bemerkenswertes Detail – denn es unterstreicht den defensiv-friedfertigen Charakter dieser Kicker einmal mehr – der Entenstatistik ist, dass Blessuren meist ohne Einwirkung des Gegners erfolgten. Wirklich ernsthafte, mit bleibenden Schäden verbundene Verletzungen infolge des Spiels wurden indessen bisher kaum bekannt; jedoch ist aus gut unterrichteten Kreisen zu hören, dass sich eine prominente Ente ausgerechnet nach einem Match gegen eine weibliche Mannschaft mit einem Bruch des rechten Sprunggelenkes von ihren mitfühlenden Kameraden vom Platz ins Krankenhaus tragen lassen musste (in diesem Fall könnten wir über bleibende Schäden, eventuell psychischer Natur, freilich spekulieren, decken aber den Mantel der Diskretion darüber). Von einer anderen prominenten Ente ist belegt, dass sie sich mehrfach langwierige Verletzungen an der Hand zuzog, in aller Regelkonformität des Spiels, versteht sich.

Entenpartnerinnen sollten ihren lädierten Enten dabei trotz aller Absurdität immer die verdiente Portion Mitgefühl und Anerkennung zollen.

Die Enten und ihre Kultur

Größte Anerkennung aber verdient die Toleranz, die in diesem Verein vorbildlich verkörpert wird, Toleranz über Geschlechter, Alters- und Völkergrenzen hinweg.

Denn lange bevor hochtrabende Emanzipationsbekundungen zu dem hanebüchenen Vorschlag führten, alle Lehrenden einer Universität ausnahmslos als Professorinnen zu titulieren, gingen die Jungs der Urzelle des Vereins mit gutem Beispiel voran und nannten sich schlicht Ente. Nun ja, FC Erpel Bagdad wäre ja auch nur halb so schön. Diesem Grundgedanken weiter verpflichtet, lässt der Verein insbesondere bei Auswärtsspielen selbst Entinnen kicken. Aber auch nicht kickend sind Entenpartnerinnen immer willkommen.

Willkommen sind auch Enten aller Generationen und aller Erdteile, so dass dieser Verein zu einem bunten, multikulturellen Haufen wurde, dessen Integrationsleistung bereits mehrfach ausgezeichnet und ministeriell bescheinigt wurde. Dies – der solidarische Haufen, nicht die ministerielle Bescheinigung – schafft legitimen Stolz auf den Verein, die eigene Vereinszugehörigkeit und das äußerst tragfähige gemeinsame Entennetzwerk: Ente sein ist etwas Besonderes. Die Identifikation mit den Enten kann dabei durchaus zu Wahrnehmungsstörungen führen: So wurde kürzlich beobachtet, wie ein Mitglied des FC Ente Bagdad einer vorüberfliegenden tatsächlichen Ente mit den Worten „Hallo, Ente!” laut hinterherjubelte. Solche Symptome klingen aber schnell ab und sollten Entenpartnerinnen nicht beunruhigen.

Die Enten und ihre Traditionen

40 Jahre Entenkultur haben mittlerweile ihre Brauchtümer hervorgebracht:

Enten verreisen gemeinsam, in Ursprungsregionen zugezogener Enten beispielsweise oder einfach zu anderen fußballverrückten Vereinen. Höhepunkt einer jeden Reise ist ein Freundschaftsspiel mit den Gastgebern, das Enten auch mal großherzig im zweistelligen Bereich zu verlieren verstehen, während die Gastgeber großherzig nach dem einstelligen Bereich zu zählen aufhören und die liebenswerten Enten einfach mal spielen lassen. Die Unterstützung der Entenfantribüne durch mitgereiste Entenangehörige ist dabei sehr gern gesehen.

Und Enten feiern natürlich gemeinsam, jahreszeitliche Feste und große Jubiläen, die ein jedes Mal mit viel Liebe und Professionalität gestaltet werden und die ein jedes Mal unter Beweis stellen, dass der FC Ente Bagdad immer wieder für eine Überraschung gut ist. Bei diesen Anlässen besteht für Entenpartnerinnen im Übrigen Anwesenheitspflicht, bei Nichtbefolgung drohen ernste Sanktionen durch den Entencoach, der dann beispielsweise ankündigt, sauer zu sein. Realisierungen dieser Sanktionen sind der Verf. bisher nicht bekannt.

Bleibt zu hoffen, dass alle schönen Ententraditionen ihre Fortsetzung finden und die Gründergeneration, vor allem das derzeit aktive Entenkabinett, weiter tatkräftige Unterstützung durch Jungenten bekommt.
Denn der FC Ente Bagdad, das muss selbst die größte Fußballskeptikerin anerkennen, ist ein toller Verein.
Dr. Friderike Beyer im November 2013